Apokalypse des Johannes

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Viktor Vatsetsov, Die apokalyptischen Reiter (Tod durch Krieg, Seuchen und Hunger: Leben als Kampf für einen gerechten Frieden)

 

 

 

Dann sah ich: Das Lamm öffnete das erste der sieben Siegel; und ich hörte das erste der vier Lebewesen wie mit Donnerstimme rufen: Komm! Da sah ich und siehe, ein weißes Pferd; und der auf ihm saß, hatte einen Bogen.

Ein Kranz wurde ihm gegeben und als Sieger zog er aus, um zu siegen. Als das Lamm das zweite Siegel öffnete,

hörte ich das zweite Lebewesen rufen: Komm! Da erschien ein anderes Pferd; das war feuerrot. Und der auf ihm saß, wurde ermächtigt, der Erde den Frieden zu nehmen, damit die Menschen sich gegenseitig abschlachteten. Und es wurde ihm ein großes Schwert gegeben. Als das Lamm das dritte Siegel öffnete, hörte ich das dritte Lebewesen rufen: Komm! Da sah ich und siehe, ein schwarzes Pferd; und der auf ihm saß, hielt in der Hand eine Waage. Inmitten der vier Lebewesen hörte ich etwas wie eine Stimme sagen: Ein Maß Weizen für einen Denar und drei Maß Gerste für einen Denar. Aber dem Öl und dem Wein füge keinen Schaden zu! Als das Lamm das vierte Siegel öffnete, hörte ich die Stimme des vierten Lebewesens rufen: Komm! Da sah ich und siehe, ein fahles Pferd; und der auf ihm saß, heißt

‚der Tod‘; und die Unterwelt zog hinter ihm her. Und ihnen wurde die Macht gegeben über ein Viertel der Erde,

Macht, zu töten durch Schwert, Hunger und Tod und durch die Tiere der Erde. (Offb 6,1–8) EU

 

 


 

Rezeption

 

Lange Zeit haben hermeneutisch gebildete und historisch-kritisch aufgeklärte evangelische Theologen über das letzte Buch der Bibel, die Offenbarung des Johannes, lieber geschwiegen. Aus dem Buch der sieben Siegel wurde dadurch ein peinlich vermiedenes und ein oft verschwiegenes und ein fast schon tabuisiertes Buch. Das hängt mit der seit Bultmann und anderen vorherrschenden und priorisierenden Autorität einer wissenschaftlichen Herangehensweise an die Bibel zusammen. Offenbarung und Wissenschaft  wurden zu anscheinend unvereinbaren Gegensätzen. Dadurch wurden Glaube und Wissen, Glaube und Vernunft auseinander gerissen. Die Folgen für Kirche und Kultur, Christentum und Politik sind bis heute verheerend.

 

Während diese wissenschaftlich gesinnten Theologen lieber über die Offenbarung des Johannes schweigen, weil sie die Möglichkeit einer Offenbarung sowie die Berufung auf die Autorität einer Offenbarung insgesamt in Frage stellen, gewinnt dieses Buch bei verbalinspirierten Bibelfundamentalisten und populistischen Verschwörungstheoretikern an Zulauf. Bekannte Bilder und Versatzstücke aus der Offenbarung des Johannes, wie das Bild von den vier apokalyptischen Reitern (The Four Horsemen), werden von ihnen aus dem Zusammenhang gerissen und im Handumdrehen auf die gegenwärtige Lage projeziert, als ob es sich um prophetische Vorhersagen gegenwärtiger Ereignisse und Prozesse handelte, die man wie die Prophezeiungen des Nostradamus als Kristallkugel der Wahrsagekunst oder für seine will-kürliche Kaffeesatzleserei benutzen könnte, um einen prominenten Verstärker für seine aktuellen Meinungen über das Weltgeschehen zu besitzen.

 

Da wird es höchste Zeit, dass sich besonnene und gebildete Theologen, die sich mit der Bibel und mit ihrer langen Entstehungsgeschichte auskennen, diesen Scharlatanen ihr übles Spiel verderben. Dabei geht es nicht um gelehrte geisteswissenschaftliche Studien, die Gelehrte nur für andere Gelehrte schreiben, sondern um geisteswissenschaftlich verantwortbare theologische Auslegungen, die den mutmaßlichen Intentionen des recht unbekannten Verfassers entsprechen und die dennoch eine christliche Message für wachsame Zeitgenossen enthalten, die wie wir alle durch

die neue globale Unübersichtlichkeit und durch die riskanten Auflösungserscheinungen der gewohnten politischen Ordnungen verunsichert werden. Doch dazu müssen sich besonnene und gebildete Theologen zuerst einmal über ihren szientistischen Schatten springen und sich wieder für die Möglichkeit und Wirklichkeit von Offenbarungen öffnen. UWD

 



 

Die Apokalypse des Johannes

 

Kaum ein Buch des Neuen Testamentes ist den meisten Christen so unbekannt wie das letzte der biblischen Bücher,

die Apokalypse; kaum ein Buch wird bei einer Zeitenwende wie beim Wechsel der Jahrtausende so intensiv gelesen – und missdeutet – wie dieses Buch, das man früher ziemlich ungenau als „Geheime Offenbarung“ bezeichnete. Der Verfasser ist ein uns sonst unbekannter Johannes, der wohl in der Kirche Kleinasiens eine Autorität war und dieses

Buch um die Wende vom 1. zum 2. Jahrhundert geschrieben hat.

 

Die Apokalypse ist keine Beschreibung einer düsteren Zukunft; sie ist nicht die prophetische Vorhersage vom Weltende, mit der den Menschen Schrecken eingejagt werden sollte. Sie ist kein Geheimbuch für wenige Eingeweihte, sondern Wort Gottes und Offenbarung der Menschenfreundlichkeit Gottes. Diese Güte Gottes verkündet der Verfasser den bedrängten Christen, die unter den inneren Problemen von Spaltung und Irrlehren und unter äußerer Verfolgung zu leiden haben; in manchen jungen Gemeinden in Kleinasien gibt es schon Märtyrer, also Gemeindemitglieder, die für ihre Glaubensfestigkeit sterben mussten. Natürlich fragen die Christen, wohin das alles führen soll, etwa mit der Macht des heidnischen Kaisers und mit der Gewalttätigkeit auch der jüdischen Mitbürger. Im Mittelpunkt ihres Fragens steht die Gerechtigkeit Gottes:

 

Wann wird sich Gott als der Gütige erweisen?

 

Darauf gibt der Verfasser Johannes eine ganz ausführliche Antwort. Er tut es nicht in der Weise einer intellektuellen Darlegung, sondern bedient sich der Bilder und Gleichnisse des Alten Testamentes, das den Lesern ja vertraut war.

 

Und da findet der geschulte Bibelkenner viele apokalyptische Aussagen; das Buch „Daniel“ etwa ist weitgehend eine Apokalypse; auch dieser Teil der Bibel war ja als Trostbuch für bedrängte Menschen, im Alten Testament natürlich Menschen des Volkes Israel, bestimmt. Auch im Neuen Testament gibt es kleinere Apokalypsen, z.B. das 25. Kapitel des Matthäus-Evangeliums mit dem anschaulichen Bild des Weltgerichtes, das ja von vielen mittelalterlichen Künstlern in Stein gehauen oder in Bücher gemalt wurde. Und viele Apokalypsen stehen nicht in der Bibel, sondern in außerbibli-schen Büchern, z.B. in den „Apokryphen“. Apokalypsen – das Wort Apokalypse bedeutet einfach „Offenbarung“, „Ent-schlüsselung“ usw. – wurden in Krisenzeiten geschrieben; sie schilderten eine dunkle, bedrohliche Situation, wie die Menschen sie erlebten, aber eben in anschaulichen, oft sehr dunklen Bildern. Vor allem aber wollten die Apokalypsen den bedrängten Menschen die Hoffnung darauf erschließen, dass alles ein gutes Ende nimmt und dass Gott siegreich sein wird. Auch das wurde illustriert, z.B. in dem wunderbaren Bild vom „neuen Jerusalem“. Christen durften die begründete Hoffnung haben, dass Gott selbst der Baumeister einer guten Zukunft sein wird; dass Gerechtigkeit sein wird; dass das Gute siegen wird.

 

In der Johannes-Apokalypse spielt besonders das „Lamm, das geschlachtet ist“ eine überragende Rolle; es steht sym-bolisch für den getöteten und auferweckten Jesus Christus. Das unterscheidet diese neutestamentliche Apokalypse

von anderen.

 

Insofern ist es völlig falsch, in der Apokalypse die bedrohliche Situations-Beschreibungen zu verselbstständigen und

nur die Düsterkeit dieser Bilder zu beschwören. Daher kommt es ja übrigens, dass man in unserem Sprachgebrauch immer etwas Negatives, eine Katastrophe, ein Unglücks-Szenario meint, wenn man von „apokalyptischen Ereignissen“ spricht. Schade; denn nicht die Schreckensbilder sind der eigentliche Inhalt einer Apokalypse, sondern die großen Zukunfts-Verheißungen, die freilich nie abgehoben sind von der Gegenwart, sondern ganz im Gegenteil den Menschen Mut machen wollen, in der Gegenwart, auch in Zeiten der Bedrängnis, die Hoffnung nicht zu verlieren.

 

Das neue Jerusalem, in der Johannes-Apokalyse im 21. Kapitel nachzulesen, ist eines der großartigsten Bilder für Gottes liebevolle Zuwendung zu den Menschen und für Gottes unerschütterliche Treue.

 

Ulrich Zurkuhlen

 

https://www.kirche-und-leben.de/artikel/was-bedeutet-apokalypse

 



 

Peter Hirschberg, Sehend werden.

Wie die Johannesoffenbarung die Wirklichkeit erschließt.

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2013

 

Die Johannesoffenbarung gehört zu den schwierigsten Schriften des Neuen Testaments und wird häufig von fundamentalistischen Gruppen vereinnahmt. Gerade deshalb ist Hirschbergs Buch so wichtig. Es eröffnet nicht nur einen gut verständlichen Zugang zu dem 'Buch mit den sieben Siegeln', es zeigt auch überzeugend auf, dass die Offenbarung kein Buch für abgedrehte Endzeitfanatiker ist.

 

Nicht Weltflucht ist ihr Thema, sondern Weltbewältigung. Der Autor der Offenbarung will seinen Lesern die Augen öffnen, dass sie die Wirklichkeit aus der befreienden Perspektive des Glaubens neu sehen lernen. Auf diese Weise werden sie dazu befähigt, mit existenziellen und politisch-gesellschaftlichen Herausforderungen konstruktiv umzu-gehen -- selbst dort, wo Menschen das Äußerste abverlangt wird.

 

Dass die Offenbarung auch theologisch fragwürdige Vorstellungen enthält, wird nicht verschwiegen, sondern kritisch diskutiert. So entsteht ein auch für die heutigen Leser und Leserinnen gewinnbringender Dialog mit Johannes.